Was ist Medical Gaslighting?
Von Medical Gaslighting spricht man, wenn medizinisches Personal Beschwerden von Patient*innen relativiert, anzweifelt oder vorschnell als übertrieben bewertet.
Um eine faire Gesundheitsversorgung zu erreichen, braucht es Sichtbarkeit, Wissen und die Bereitschaft, Vorurteile zu hinterfragen – in der Medizin und in der Gesellschaft.
Betroffene tragen keine Schuld. Ihre Erfahrungen sind Ausdruck struktureller Probleme, die zur Gender Health Gap beitragen. Ärzt*innen und medizinisches Personal sind Teil dieser Strukturen – und haben gleichzeitig die Möglichkeit, durch Sensibilität und reflektierte Praxis aktiv zum Wandel beizutragen.
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Der Begriff Gaslighting stammt aus dem Theaterstück Gas Light (1938) von Patrick Hamilton und dessen Verfilmungen. Darin manipuliert ein Mann seine Frau, indem er die Helligkeit von Gaslampen verändert und ihre Wahrnehmung abstreitet, um sie an ihrem Verstand zweifeln zu lassen. Heute bezeichnet „Gaslighting“ eine Form psychologischer Manipulation, bei der Betroffene ihre Wahrnehmungen oder Erinnerungen in Frage gestellt bekommen.
Medical Gaslighting bedeutet, dass Beschwerden vorschnell auf Stress, Lebensstil oder psychische Faktoren zurückgeführt werden – ohne mögliche Ursachen gründlich abzuklären. Das verzögert Diagnosen und erschwert den Zugang zu geeigneten Therapien. Betroffene können durch die erfahrene Invalidierung das Vertrauen in sich selbst und in die Medizin verlieren. Manche entwickeln zusätzliche Belastungen oder vermeiden weitere Arztbesuche.
Ein wesentlicher Grund: Die Medizin ist historisch stark an männlichen Körpern orientiert. Geschlechtsspezifische Unterschiede in Symptomen, Medikamentendosierungen und Therapien sind oft unzureichend erforscht. Besonders FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre, trans und agender Personen) erleben deshalb, dass ihre Erkrankungen in Forschung, Diagnostik und Versorgung übersehen werden – mit Folgen bis hin zur Kostenübernahme von Therapien oder der Anerkennung von Pflegegraden.
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Viele Studien sind weiterhin binär angelegt und beziehen nur endo-cis-Männer und endo-cis-Frauen ein. Für nicht-binäre, inter- oder trans Personen gibt es noch zu wenig Daten – ein gravierendes Risiko für eine bedarfsgerechte Versorgung.
endo = endo-Personen sind Menschen, deren Körper von Geburt an den medizinisch-normativen Vorstellungen von „männlich“ oder „weiblich“ entsprechen. Dadurch wird durch das medizinische Personal eine Zuordnung zu den binären Geschlechtern durchgeführt.
Gender Health Gap = strukturelle Benachteiligungen von FLINTA in Forschung, Diagnostik und Behandlung, zusätzlich beeinflusst durch Faktoren wie ungleich verteilte Care-Arbeit, Einkommen oder gesellschaftliche Rollenbilder.Wir sind ein gesundheitspolitischer gemeinnütziger Verein und bieten keine individuelle medizinische Beratung an. Die Inhalte dienen der Aufklärung und ersetzen keine professionelle Behandlung.
Das Projekt
Diese Kampagne entstand 2024 aus einer Kooperation von Feministische Medizin e.V. und Mis(s)understood Bodies. Gemeinsam möchten wir für Medical Gaslighting sensibilisieren – sowohl Patient*innen als auch medizinisches Personal. Unser Ziel ist es, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über eine geschlechtergerechte und gleiche Gesundheitsversorgung für alle zu leisten. Dabei geht es uns nicht ums Anklagen, sondern um Anregungen für ein kritisches, vorurteilsbewusstes Arbeiten im Gesundheitswesen.
Im Projekt berichten acht Betroffene von ihren Erfahrungen: Welche Sätze sie im Gespräch mit medizinischem Personal hörten, wie lange sie auf eine Diagnose warten mussten und welche Folgen das hatte. So werden geschlechtsspezifische Vorurteile im Gesundheitswesen sichtbar. Ihre Erlebnisse zeigen, wie sich trotz verschiedener Hintergründe, Orte, Altersgruppen und Diagnosen die Reaktionen auf ihre Symptome häufig überschneiden und Muster erkennen lassen.
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Uns ist bewusst, dass auch andere Diskriminierungsformen den Zugang zu guter Gesundheitsversorgung erschweren – etwa Rassismus, Ableismus, Klassismus, Queerfeindlichkeit oder Gewichtsdiskriminierung. Aus Ressourcengründen liegt unser Fokus hier auf geschlechtsspezifischen Aspekten. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass individuelle Erfahrungen immer aus einer intersektional feministischen Perspektive betrachtet werden müssen. Das Zusammenspiel aus vorhandenen Privilegien und erlebter (Mehrfach-)Diskrimierung beeinflusst, wie eine Person Zugang und Wissen über eine gute Gesundheitsversorgung erhält. Wir hoffen, in zukünftigen Projekten auf weitere Diskriminierungsformen vermehrt eingehen zu können.
Wenn ihr uns dabei mit Wissen oder Förderung unterstützen möchtet, freuen wir uns über eine Nachricht.
Lösungsansätze
Hier erfährst du, was du direkt gegen Medical Gaslighting machen kannst:
Unsere Plakatmotive
Bist du neugierig auf die Plakatmotive? Hier kannst du sie dir anschauen und lesen, wie wir die individuellen Erfahrungen hinsichtlich der Gender Health Gap und des erfahrenen Gaslightings einordnen.
Du möchtest unser Projekt finanziell unterstützen?
Mit einem Beitrag für die Crowdfunding Kampagne hilfst du, neue Plakate zu drucken und die Reichweite des Projekts zu verstärken.
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Shukla M, Schilt-Solberg M, Gibson-Scipio W. Medical Mistrust: A Concept Analysis. Nurs Rep. 2025 Mar 17;15(3):103. doi: 10.3390/nursrep15030103. PMID: 40137676; PMCID: PMC11944586.
Li W, Wang R-Q, Attiq-Ur-Rehman, et al. The moral dilemma of obstetric violence: A meta-synthesis. Nursing Ethics. 2025;0(0). doi:10.1177/09697330251333403
Khan, K., Tariq, N., Majeed S. (2024): Psychological Impact of Medical Gaslighting on Women: A Systematic Review, in: Journal of Professional & Applied Psychology, 5(1):110-125, DOI: 10.52053/jpap.v5i1.249.
Queer Lexikon. endosexuell | Queer Lexikon. Queer Lexikon website. Published June 15, 2017. Last modified July 5, 2024. Accessed October 10, 2025. Available from: https://queer-lexikon.net/tag/endosexuell/ (letzter Zugriff 10.10.2025)
Danksagung
Solidarischer Dank geht an all die Personen und Organisationen, die dieses Projekt unterstützt haben und die Umsetzung so erst möglich wurde!
Ohne kollektives Engagement, geteiltes Wissen und praktische Unterstützung wäre es nur eine Idee geblieben. Gemeinschaftliches Arbeiten bleibt für alle Beteiligten ein zentraler Wert – insbesondere dann, wenn wir einen Beitrag kreieren können, der zu mehr Sensibilität im Gesundheitswesen beitragen kann. Mit diesem Vorhaben wollen wir alte Strukturen aufbrechen und Patient*innen zuhören. Unser Dank gilt allen, die sich gemeinsam für eine solidarische medizinische Versorgung einsetzen:
die Fotograf*innen für das Festhalten und Sichtbarmachen der einzelnen Gesichter zu den jeweiligen Geschichten: Anna Wu, Billy Söntgen, Charly Resch, Gianni Caretta, Kate Kuklinski, Naemi Eckert, Niklas Blum, Thomas Pirot
an unsere Druckerei Die Druckerin für die gelungene Kooperation und die sorgfältige Produktion
die fördernden Stellen für die finanzielle Unterstützung
allen teilnehmenden Patient*innen für das Teilen ihrer Erfahrungen und ihre eigene wertvolle Aufklärungsarbeit: Christina Pingel, Felicia Davis, Leonie, Lovis Thomas, Marie Wiederschein, Marlene Frey, Nicole Grimheart, Zoa
Einen weiteren Dank möchten wir an alle aussprechen, die dieses Projekt durch die eigene kreative Arbeit, inspirierende Ideen und die gezeigte Solidarität möglich gemacht haben. Besonders hervorheben möchten wir dabei:
Julia Vanessa Maier für das Konzept und künstlerische Gesamtleitung sowie die gelungene Grafik der Plakate
Verena Ziegler mit mis(s)understood bodies für die entscheidende Redaktionsarbeit und essenzielle Organisation

